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Wie ist erfolgt die Transportzuordnung im Reihen- und Dreiecksgeschäft?
Innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft, Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren, Zuordnung der Warenbewegung zu einer der Lieferungen, Rechtslage vor dem 01.01.2020
Vorabentscheidungsersuchen des Augstākā tiesa (Senāts) (Lettland) v. 25.08.2025, EuG-Sache T-614/25

Worum geht es grundsätzlich?
Der EuG hat zu entscheiden, ob im Vorlagefall ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft (unionsrechtlich nach Art. 141 MwStSystRL / national nach § 25b UStG) möglich ist und wie die Warenbewegung in einem Reihengeschäft nach den Grundsätzen bis zum 31.12.2019 zuzuordnen ist.
§ 25b UStG enthält (auf der Basis von Art. 141 MwStSystRL) eine Vereinfachungsregelung für die Umsatzbesteuerung von sog. innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften (Reihenlieferungsgeschäfte zwischen drei Unternehmern, die in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten umsatzsteuerlich registriert sind). Die Vereinfachung (in § 25b UStG in Deutschland bzw. Art. 141 MwStSystRL) besteht darin, dass eine steuerliche Registrierung des mittleren Unternehmers im Bestimmungsland (EU-Mitgliedstaat der Warenankunft) vermieden wird. Ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft setzt nach § 25b UStG voraus, dass drei Unternehmer (erster Lieferer, erster Abnehmer und letzter Abnehmer) über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen, und dieser Gegenstand (EU-Grenzen überschreitend) unmittelbar vom Ort der Lieferung des ersten Lieferers an den letzten Abnehmer gelangt (§ 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG). Aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung im UStAE kann ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft auch zwischen drei unmittelbar nacheinander liefernden Unternehmern bei Reihengeschäften mit mehr als drei Beteiligten vorliegen, wenn die drei unmittelbar nacheinander liefernden Unternehmer am Ende der Lieferkette stehen. Der erste Abnehmer in dem Dreiecksgeschäft ist als mittlerer Unternehmer in der Reihe zugleich Abnehmer und Lieferer. Ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft setzt weiterhin voraus, dass der Gegenstand durch den ersten Lieferer oder den ersten Abnehmer (mittlerer Unternehmer) befördert oder versendet wird (§ 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). Dies gilt für den mittleren Unternehmer allerdings nur dann, wenn er in seiner Eigenschaft als Abnehmer befördert oder versendet, d. h., wenn die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn (erste Lieferung im Dreiecksgeschäft) zuzuordnen ist. Wird die Beförderung oder Versendung dagegen der zweiten Lieferung im Dreiecksgeschäft zugeordnet, weil der mittlere Unternehmer in seiner Eigenschaft als Lieferer auftritt, liegt kein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft vor. Wird der Gegenstand der Lieferungen durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet (Abholfall), liegt ebenfalls kein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft vor. Bei Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts wird die Steuerschuld für die zweite Lieferung (Inlandslieferung im EU-Mitgliedstaat der Ankunft der Ware) unter den Voraussetzungen des § 25b Abs. 2 UStG vom ersten auf den letzten jeweils am Dreiecksgeschäft beteiligten Abnehmer übertragen. Im Fall der Übertragung der Steuerschuld gilt zugleich auch der innergemeinschaftliche Erwerb dieses ersten Abnehmers (im Mitgliedstaat der Ankunft der Ware) als besteuert (§ 25b Abs. 3 UStG).
Ausgangsfall
Das lettische Gericht hat über Reihengeschäfte mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren (Mineralöle) zu entscheiden, die vor dem 01.01.2020, also vor der Anwendbarkeit von Art. 36a MwStSystRL zur Bestimmung der warenbewegten Lieferung in einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft, getätigt wurden.
Im Ausgangsverfahren ist zwischen einer klagenden LV-AG (T) und der LV-Finanzverwaltung streitig, ob auf Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren der T an estnische und britische Unternehmen einen Steuersatz von 0 %, d.h. die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, anzuwenden ist. T wurde im Dezember 2014 gegründet und ihre Haupttätigkeit ist der Großhandel mit festen, flüssigen und gasförmigen Kraftstoffen und ähnlichen Waren.
T gab den Verkauf von Mineralölen an die estnischen Unternehmen NT, GA, TGE und das britische Unternehmen ES an, die ihrerseits dieselben Mineralöle an spätere Kunden in der EU verkauften. Der Transport der Waren wurde von den späteren Kunden der v.g. Vertragspartner der T durchgeführt. Die Waren wurden also einmal physisch transportiert, und zwar direkt von der T an die späteren Kunden.
Die LV-Finanzverwaltung führte eine Mehrwertsteuerprüfung bei der T durch. Dabei wurde weder in Abrede gestellt, dass die Waren der T zur Verfügung standen, noch dass der Verkauf der Waren durch T an die genannten Vertragspartner der T erfolgte. Die Finanzverwaltung erhob Einwände gegen das Recht der T, auf die Lieferungen der Gegenstände einen Mehrwertsteuersatz von 0 % (d.h. die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen) anzuwenden. Die LV-Finanzverwaltung ist der Ansicht, dass die direkten Vertragspartner der T das Eigentum an den in Rede stehenden Mineralölen auf ihre eigenen Vertragspartner übertragen hätten, bevor diese Gegenstände vom Lager der T in andere EU-Mitgliedstaaten befördert oder versandt worden seien, und dass die T davon Kenntnis gehabt habe. Folglich seien die Lieferungen der T an die direkten Vertragspartner als inländische Lieferungen (in Lettland) anzusehen, so dass sie dem Normalsteuersatz und nicht einem Satz von 0 % unterlägen.
T macht geltend, im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den in Rede stehenden Waren um verbrauchsteuerpflichtige Waren handele, die im Verfahren der Steueraussetzung in der EU geliefert würden. Dies bedeute, dass das mit der Entrichtung der Verbrauchsteuern für die verkauften Waren verbundene Risiko für die T erst dann entfalle, wenn der Empfänger der Waren das elektronische Verwaltungsdokument ausgefüllt habe. Gingen die betreffenden Waren bei der Beförderung verloren, so ginge die Verpflichtung zur Zahlung der Verbrauchsteuer auf die T über. Folglich sei das Recht, als Eigentümer über die Waren zu verfügen, nicht auf die Vertragspartner der T übertragen worden, solange die betreffenden Waren nicht in einem Verbrauchsteuerlager in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder bei einem speziell registrierten Empfänger eingegangen seien.
Entscheidung des lettischen Vorlagegerichts
Das EuG wurde um Vorabentscheidung zu mehreren Fragen gebeten. Das LV-Gericht will (verkürzt dargestellt) wissen:
- Ist Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL i.V.m. Art. 141 und Art. 197 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen, dass der Umstand, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren in einem Dreiecksgeschäft im Verfahren der Steueraussetzung geliefert werden und feststeht, dass Steuerschuldner der im dritten Mitgliedstaat registrierte Mehrwertsteuerpflichtige ist, für sich genommen ein Grund ist, die von dem im ersten EU-Mitgliedstaat registrierten Unternehmer an den im zweiten Mitgliedstaat registrierten Unternehmer bewirkte Lieferung gemäß Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL als innergemeinschaftliche Lieferung zu befreien, sofern im Rechtsstreit nachgewiesen wird, dass die Gegenstände tatsächlich aus dem ersten EU-Mitgliedstaat ausgeführt und in den dritten EU-Mitgliedstaat befördert wurden?
- Ist Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL im Fall eines Dreiecksgeschäfts dahin auszulegen, dass dann, wenn der im ersten Mitgliedstaat registrierte Unternehmer davon unterrichtet wird, dass der im zweiten Mitgliedstaat registrierte Unternehmer die Gegenstände später unmittelbar an den im dritten Mitgliedstaat registrierten Unternehmer liefern wird, bevor die Gegenstände den ersten Mitgliedstaat verlassen und zu diesem Unternehmer in den dritten Mitgliedstaat befördert werden, die von dem im ersten Mitgliedstaat registrierten Unternehmer an den im zweiten Mitgliedstaat registrierten Unternehmer bewirkte Lieferung nicht von der MwSt befreit ist?
- Ist Art. 141 MwStSystRL anwendbar, wenn im Anschluss an ein Dreiecksgeschäft das Unternehmen des dritten Mitgliedstaats dieselben Waren im Rahmen derselben einzigen Beförderung innerhalb des Gebiets der EU weiterverkauft?
Hinweise für die Praxis
Seit dem 01.01.2020 ist unionsrechtlich in Art. 36a MwStSystRL für ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft die Bestimmung der warenbewegten Lieferung geregelt (nach der EuGH-Rechtsprechung (vgl. z.B. EuGH v. 06.04.2006, C-245/04, EMAG Handel Eder) kann es in einem Reihengeschäft nur eine einzige warenbewegte Lieferung geben, die Gegenstand einer Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung sein kann). Werden dieselben Gegenstände nacheinander geliefert und werden diese Gegenstände aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unmittelbar vom ersten Lieferer bis zum letzten Erwerber in der Reihe versandt oder befördert und wird die Beförderung oder Versendung vom Zwischenhändler durchgeführt/beauftragt, so wird die Versendung oder Beförderung nur der (Eingangs-) Lieferung an den Zwischenhändler zugeschrieben (Art. 36a Abs. 1 MwStSystRL). Abweichend davon wird die Versendung oder Beförderung nur der (Ausgangs-) Lieferung von Gegenständen durch den Zwischenhändler zugeschrieben, wenn der Zwischenhändler seinem Lieferer die MwSt-Identifikationsnummer mitgeteilt hat, die ihm vom Mitgliedstaat, aus dem die Gegenstände versandt oder befördert werden, erteilt wurde (Art. 36a Abs. 2 MwStSystRL). Für die Zwecke dieses Artikels bezeichnet der Ausdruck „Zwischenhändler“ einen Lieferer innerhalb der Reihe (mit Ausnahme des ersten Lieferers in der Reihe), der die Gegenstände selbst oder auf seine Rechnung durch einen Dritten versendet oder befördert (Art. 36a Abs. 3 MwStSystRL). Somit bestimmt die MwStSystRL ab 01.01.2020 im Fall von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen und einer einzigen EU-grenzüberschreitenden Beförderung, welcher Lieferung die Versendung oder Beförderung zuzurechnen ist und welche somit umsatzsteuerfrei ist.
Nach bisheriger EuGH-Rechtsprechung zur Bestimmung der warenbewegten Lieferung in einem Reihengeschäft nach der Rechtslage vor dem 01.01.2020 ist zur Klärung der Frage, welcher der beiden Lieferungen (in einem Reihengeschäft mit drei Beteiligten) die innergemeinschaftliche Beförderung zuzuordnen ist, eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
Im Rahmen dieser Würdigung ist insbesondere zu klären, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Verfügungsmacht, also der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten des Endabnehmers stattgefunden hat. Falls die zweite Übertragung dieser Befähigung, d. h. die Zweitlieferung, vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattgefunden hat, kann diese nicht der Erstlieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden (vgl. z. B. EuGH v. 26.07.2017, Toridas, C-386/16). Der EuGH hat festgestellt, dass Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass die Lieferung von Gegenständen seitens eines Unternehmers, der in einem ersten EU-Mitgliedstaat niedergelassen ist, nicht nach Maßgabe dieser Bestimmung von der MwSt befreit ist, wenn der in einem zweiten EU-Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasste Erwerber vor Ausführung der Lieferung den liefernden Unternehmer darüber informiert, dass die Waren unmittelbar an einen in einem dritten EU-Mitgliedstaat ansässigen Unternehmer weiterverkauft werden, bevor sie aus dem ersten Mitgliedstaat ausgeführt und zum dritten Unternehmer befördert werden, sofern die Zweitlieferung tatsächlich erfolgt ist und die Waren sodann vom ersten Mitgliedstaat in den Mitgliedstaat des dritten Unternehmers befördert wurden (EuGH, Toridas, Rn. 44).
In seinem Urteil v. 19.12.2018, C-414/17 (AREX CZ) hatte der EuGH sich bereits mit der Steuerbefreiung nach Art. 138 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL für die innergemeinschaftliche Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren befasst. Nach der Vorschrift sind die Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung an den Erwerber nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, jedenfalls dann steuerfrei, wenn die Lieferungen an Unternehmer bewirkt werden und wenn die Versendung oder Beförderung dieser Waren gemäß Art. 7 Absätze 4 und 5 oder Art. 16 der RL 92/12/EWG durchgeführt wird. Die Regelung des Art. 138 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL ist nicht gesondert in deutsches Recht umgesetzt worden, sondern wird von § 6a UStG abgedeckt. Der EuGH hat aber mittelbar bestätigt, dass dies kein Umsetzungsmangel war, weil verbrauchsteuerpflichtige Waren bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zwischen Unternehmern umsatzsteuerlich grundsätzlich wie alle anderen Waren behandelt werden.
Das EuG muss vorliegend erneut über die Zuordnung der Warenbewegung in einem Reihengeschäft (zur Rechtslage vor dem 01.01.2020) entscheiden (hier in der Beziehung T – Abnehmer der T (A) – Abnehmer der A (B)). Wenn B das letzte Glied in der Reihe der Verkaufsgeschäfte ist und B den Transport der Mineralöle vorgenommen hat, wäre nach bis 31.12.2019 geltenden deutschen Zuordnungsregeln die innergemeinschaftliche (warenbewegte) Lieferung an B erfolgt und die Auffassung der LV-Finanzbehörde zutreffend. Ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft nach § 25b UStG wäre aus deutscher Sicht nicht gegeben. Dieses Ergebnis hatte der EuGH in seinem Urteil v. 19.12.2018, C-414/17 (AREX CZ) (wenn auch mit einer anderen, die frühere Rechtsprechung bestätigende Begründung, dass es auf den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht an der Ware ankommt) mittelbar bestätigt. Von daher könnte zumindest angenommen werden, dass in dem Fall, in dem der letzte Abnehmer in einem Reihengeschäft die Ware mit eigenem Transportmittel abholt, die Verfügungsmacht auf ihn übergegangen ist, bevor die Ware den Bestimmungsmitgliedstaat erreicht und dieser letzte Abnehmer somit (sowohl nach den Zuordnungsregeln in Abschnitt 3.14 UStAE (in Deutschland) i.d.F. bis 31.12.2019 als auch nach der Rechtsprechung des EuGH) zwingend Abnehmer einer innergemeinschaftlichen Lieferung ist.
Da es vorliegend insbesondere um die Zuordnung der Warenbewegung in einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft geht, bleibt abzuwarten, ob das EuG auf die frühere EuGH-Rechtsprechung abhebt oder ob es bereits die Grundsätze von Art. 36a MwStSystRL (der auf den Rechtsstreit jedoch nicht unmittelbar anwendbar ist) beachtet.
Insgesamt wird die Entscheidung sowohl für die Zuordnung der Warenbewegung bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften als auch im Fall des innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts Bedeutung haben.
Bei Fragen melden Sie sich gern. Wir unterstützen und beraten Sie gern zu allen Fragen des Umsatzsteuer-, Zoll- und Verbrauchsteuerrechts.
Obwohl alle Beiträge nach bestem Wissen verfasst wurden, kann eine Haftung für den Inhalt nicht übernommen werden. I Stand 06.11.2025.










