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13.10.2025

Steuerbefreiung, Ausfuhrlieferung, Nachweis der Steuerbefreiung, Buch- und Belegnachweis

EuGH, Urteil v. 01.08.2025, C-602/24 (W.)

Richterhammer vor der EU-Flagge als Symbol für EuGH-Urteil zur Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferung

Worum geht es grundsätzlich?

Nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. a und b MwStSystRL sind Ausfuhrlieferungen (Beförderung oder Versendung durch den liefernden Unternehmer bzw. Beförderung/Versendung durch den (ausländischen) Erwerber (Abnehmer) umsatzsteuerfrei. Die Steuerbefreiung setzt insbesondere voraus, dass der Liefergegenstand aus dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat in das Drittlandsgebiet gelangt. Im nationalen Recht ist die Ausfuhrlieferung in § 6 UStG und die entsprechende Steuerbefreiung in § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG geregelt. Nach nationalem Recht hat der liefernde Unternehmer die Ausfuhr durch Belege (§ 6 Abs. 4 UStG und §§ 8 bis 11 UStDV, Belegnachweis) und zusätzlich buchmäßig (§ 6 Abs. 4 UStG und § 13 UStDV) nachzuweisen (Buchnachweis).

Ausgangsfall

In dem polnischen Ausgangsverfahren ging es um die Voraussetzungen der Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen mit Bezug auf Buch- und Belegnachweise in einem Fall, in dem die Lieferungen nicht als Ausfuhrlieferungen, sondern als (steuerfreie) innergemeinschaftliche Lieferungen erklärt wurden.

Die Klägerin, eine polnische Gesellschaft W, erfasste in den Jahren 2017 und 2018 in ihren Umsatzsteuererklärungen Lieferungen von Äpfeln an eine A.E. LP mit Sitz im VK, die für Mehrwertsteuerzwecke in Lettland registriert war (im Folgenden: A.E.). W wies diese Lieferungen in Rechnungen aus und meldete sie als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an. Die jeweilige Lieferung erfolgte zu EXW-Bedingungen (gemäß den Incoterms®). Organisator des Transports sollte A.E. sein. Gemäß den CMR-Frachtbriefen, über die W verfügte und die sie im Laufe des Steuerverfahrens vorlegte, sollten die Gegenstände vom Beladeort in Polen durch Beförderungsunternehmer aus Belarus, Russland und Polen zu ihren Bestimmungsorten in Litauen transportiert und geliefert werden.

Nach den Feststellungen der PL-Finanzbehörde wurden die von W verkauften Gegenstände jedoch nicht im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vom Gebiet Polens in das Gebiet des EU-Mitgliedstaates Litauens ausgeführt. Vielmehr führte der Abnehmer A.E. die Äpfel als deren Erwerber direkt von Polen nach Belarus, d. h. in das Drittlandsgebiet aus. Die PL-Finanzbehörde stellte dies auf der Grundlage von Zollanmeldungen fest, die von der im Namen und für Rechnung von A.E. handelnden Zollagentur abgegeben wurden. Es lag eine vollständige Übereinstimmung hinsichtlich der Identität der Gegenstände, ihrer Bezeichnung, der Anzahl der Packungen, des Nettogewichts und der Beförderungsmittel, mit denen der Transport vom Beladeort bis zum Ausfuhrzollamt und daraufhin nach Belarus erfolgte, vor. Die von W gelieferten Gegenstände waren also nachweislich nach Orten außerhalb des Zollgebiets der Union ausgeführt worden. Die polnische Finanzbehörde war gleichwohl der Auffassung, W habe nicht ordnungsgemäß überprüft, wohin die von ihr verkauften Gegenstände geliefert würden, sondern habe sich mit einer formalen „Bestätigung“ der Durchführung ihrer Lieferung nach Litauen auf der Grundlage der Unterschrift des Fahrers mit dem Stempel des Transportunternehmens in den CMR-Dokumenten begnügt. Die Steuerbehörde meinte daher, dass der Verkauf der Gegenstände an A.E. eine inländische Lieferung im Gebiet Polens darstelle, die mit dem auf die Lieferung solcher Gegenstände anwendbaren Steuersatz (5 %) besteuert werde. Hiergegen erhob W Klage mit der Argumentation: es habe nachweislich eine Ausfuhrlieferung stattgefunden, die umsatzsteuerfrei sei.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat entschieden, dass eine ursprünglich vom Lieferer als innergemeinschaftliche Lieferung angemeldete Lieferung von Gegenständen, die der Erwerber ohne dessen Wissen nach Orten außerhalb der EU vorgenommen hat, unter die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL fällt, wenn die in Rede stehende Ausfuhr von den Steuerbehörden anhand von Zolldokumenten festgestellt wurde.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Recht. In einem vergleichbaren Fall (keine Hinweise auf das Vorliegen von Steuerbetrug, Erklärung einer innergemeinschaftlichen Lieferung und stattdessen tatsächlich getätigte Ausfuhrlieferung, d.h. unter Erfüllung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 6 UStG) dürfte die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung Anwendung finden, wenn die entsprechenden Buch- und Belegnachweise geführt werden können. Dafür spricht z.B. der Gedanke der Regelung in Abschnitt 6a.3 Abs. 3 UStAE: („Entspricht der Ort des Erhalts des Gegenstands im übrigen Gemeinschaftsgebiet bzw. der Ort des Endes der Beförderung des Gegenstands im übrigen Gemeinschaftsgebiet nicht den Angaben des Abnehmers, ist dies nicht zu beanstanden, wenn es sich bei dem tatsächlichen Ort um einen Ort im übrigen Gemeinschaftsgebiet handelt.“). Außerdem kann nach Abschnitt 6.5 Abs. 3 UStAE der Ausfuhrnachweis als Bestandteil des buchmäßigen Nachweises noch bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG über eine Klage gegen die erstmalige endgültige Steuerfestsetzung oder den Berichtigungsbescheid geführt werden (BFH v. 28.2.1980, V R 118/76, BStBl II 1980, 415).

Im vorliegenden Fall stand fest, dass die Lieferung der Äpfel nach Orten außerhalb der EU festgestellt worden war. Der Umstand, dass der Nachweis dieser Lieferung von den polnischen Steuerbehörden und nicht vom Lieferer erlangt wurde, war lt. der EuGH-Entscheidung für die Einstufung des Umsatzes als Ausfuhr im Sinne von Art. 146 Abs. 1 Buchst. a und b MwStSystRL unerheblich. Überdies wäre es nach dem EuGH-Urteil unverhältnismäßig, die Steuerbefreiung einer Ausfuhr allein deshalb zu versagen, weil der Unternehmer nicht über die richtigen Ausfuhrdokumente verfügt, wenn die Steuerbehörde, wie im Ausgangsfall sicher ist, dass die Gegenstände ausgeführt wurden. Dies dürfte den Grundsätzen des Objektivnachweises gemäß Abschnitt 6.5 Abs. 1 Satz 9 UStAE entsprechen.

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