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Haftung des Leistungsempfängers für Umsatzsteuer bei gleichzeitiger Versagung des Vorsteuerabzugs in Betrugsfällen
Der EuGH bleibt bei seiner zu Mehrfachbelastungen führenden Rechtsprechung

EuGH, Urteil v. 10.7.2025, C-276/24 (Konreo)
Worum geht es grundsätzlich?
Nach Art. 205 MwStSystRL können die EU-Mitgliedstaaten bestimmen, dass u.a. in den in Art. 193 bis 200 MwStSystRL genannten Fällen (Steuerschuldner ist danach der leistende Unternehmer (Art. 193), in Fällen des Reverse-Charge-Verfahrens der Leistungsempfänger (Art. 194 bis 199a), in Fällen der Betrugsbekämpfung nach dem sog. Schnellreaktionsmechanismus der Leistungsempfänger (Art. 199b) und der Unternehmer, der einen innergemeinschaftlichen Erwerb tätigt (Art. 200)) sowie u.a. in den in Art. 203 MwStSystRL genannten Fällen (Steuerschuldner ist danach jeder, der MwSt in einer Rechnung ausweist), dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. Art. 205 MwStSystRL hat insofern den Charakter einer Haftungsvorschrift.
Ausgangsfall
In dem tschechischen Ausgangsverfahren ging es um die Auslegung von Art. 205 MwStSystRL. Die Klägerin (K) ist Insolvenzverwalter einer insolventen tschechischen Gesellschaft F. F bezog Kraftstoff von einer tschechischen Gesellschaft V. Die Finanzverwaltung führte bei beiden Gesellschaften Steuerprüfungen durch. Sie stellte fest, dass die Handelskette, an der V und F beteiligt waren, von Steuerhinterziehung betroffen sei. Die Steuerausfälle betrafen Umsätze, die in der Kette vor V und F lagen und Unternehmen, die nicht die direkten Kraftstofflieferanten von V waren. Angesichts der festgestellten nicht gewöhnlichen Umstände der Transaktionen hätten, so die CZ-Finanzverwaltung, F und V wissen müssen, dass die Handelsgeschäfte von Steuerhinterziehung betroffen waren. Noch bevor die Finanzverwaltung gegenüber F durch Versagung des Vorsteuerabzugs MwSt festsetzte, nahm sie F als Haftungspflichtigen für die Zahlung der von V nicht abgeführten MwSt in Anspruch. F wurde also aufgefordert, die MwSt abzuführen, die sie an V bereits bei der Begleichung der Rechnungen für die Kraftstofflieferungen gezahlt hatte. F wurde schließlich noch das Recht auf Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen mit der Begründung versagt, dass in der Handelskette eine Mehrwertsteuerhinterziehung vorliege.
K hatte geltend gemacht, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs und ein Haftungsbescheid alternative Vorgehensweisen sein müssten. Beide Vorgehensweisen gleichzeitig verstießen gegen den Grundsatz der Neutralität der MwSt.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat entschieden, dass Art. 205 MwStSystRL einer nationalen Praxis nicht entgegensteht, nach der dem Empfänger einer entgeltlichen Lieferung eine gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Entrichtung der vom liefernden Unternehmer geschuldeten MwSt auferlegt wird, obwohl dem Empfänger der Lieferung der Vorsteuerabzug daraus mit der Begründung versagt wurde, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einer Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt war.
Hinweise für die Praxis
Der EuGH hat vorliegend seine frühere Rechtsprechung bestätigt. Die Frage, ob es möglich ist, zwei Maßnahmen gleichzeitig anzuwenden, die darin bestehen, den Empfänger einer Lieferung von Gegenständen als Haftungsschuldner für die vom Lieferer nicht abgeführte MwSt in Anspruch zu nehmen und dem Lieferungsempfänger gleichzeitig den Vorsteuerabzug zu versagen, hat der EuGH eindeutig bejaht. Hieran wird der BFH sich zu orientieren haben.
§ 25d Abs. 1 UStG führt zur Haftung des Unternehmers aus einem vorangegangenen Umsatz, soweit der Aussteller der Rechnung entsprechend seiner vorgefassten Absicht die ausgewiesene Steuer nicht entrichtet hat und der Unternehmer bei Abschluss des Vertrags über seinen Eingangsumsatz davon Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte haben müssen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Merkmale des § 25d Abs. 1 UStG trägt das Finanzamt. In seinem Urteil v. 10.8.2017, V R 2/17 (BFH/NV 2018, 160) hatte der BFH offen gelassen, in welchem Verhältnis eine Haftung nach § 25d Abs. 1 UStG zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs nach den Grundsätzen der vom BFH übernommenen Rechtsprechung des EuGH in Betrugsfällen (vgl. z.B. EuGH v. 18.12.2014, C-131/13, C-163/13, C-164/13; v. 12.1.2006, C-354/03, C-355/03, C-484/03; BFH v. 19.4.2007, V R 48/04, BStBl. II 2009, 315) steht und ob überhaupt eine Kumulation von Vorsteuerversagung und Haftung nach § 25d Abs. 1 UStG in Betracht kommen kann. Diese Kumulationsmöglichkeit hat der EuGH vorliegend bejaht.
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